Das Scott Monument erhebt sich schwarz und stolz gegen den Himmel, als wolle es uns ein letztes Mal verabschieden. Wir verlassen Edinburgh – dankbar für die Eindrücke, aber auch ein wenig erleichtert, das Gewusel der Stadt hinter uns zu lassen. Jetzt lockt uns die Weite, die Klarheit, das offene Land.
Mit dem Bus geht es hinaus zum Flughafen, wo unser Leihwagen auf uns wartet. Schon wenige Kilometer später lassen wir die Stadt hinter uns. Die Straßen werden schmaler, die Häuser seltener, und plötzlich öffnet sich der Blick: Weite.
Die Landschaft der Lowlands breitet sich vor uns aus – sanft geschwungene Hügel, grüne Felder, durchzogen von Steinmauern und kleinen Wäldern. Über uns spielt die Sonne mit den Wolken. Ein Meer aus Licht und Schatten zieht über die Hügel, ständig wechselnd, immer neu.
Immer wieder fahren wir durch kleine Städte mit hübschen Kirchen, vorbei an Bauernhäusern, die so prachtvoll gebaut sind, dass sie fast wie kleine Schlösser wirken. Es ist ein Land, das auch in seinen alltäglichen Bildern Geschichten erzählt.
Eine Frage begleitet uns jedoch: Warum fahren hier eigentlich alle auf der falschen Straßenseite?
An manchen Kreuzungen ist es verwirrend, besonders wenn ein Bus entgegenkommt. Doch schon nach wenigen Kilometern haben wir den Dreh raus. Ein ungewohntes Spiel von Spiegeln und Blickrichtungen – und irgendwie macht genau das den Reiz des Fahrens in Schottland aus.




Ein unerwarteter Stopp – Salty’s
Wir fahren und fahren, die Landschaft zieht vorbei, und fast hätten wir unser Hotel schon hinter uns gelassen. Eigentlich wollten wir unterwegs anhalten – dort, wo es uns gefällt, spontan, frei. Doch irgendwie sind wir einfach weitergefahren.
Bis wir schließlich vor einem Restaurant stoppen: Salty’s. Eine Ranch mitten in Schottland, die wirkt, als hätte man ein Stück Karibik hierher verpflanzt. Tropische Musik, buntes Design, eine Atmosphäre, die sofort gute Laune macht.
Wir setzen uns an einen Tisch, bestellen – und entdecken nebenbei Kartenspiele. Auf dem Schild daneben steht: „Spielen ist so viel besser, als das Smartphone ständig vor der Nase zu haben.“ Ein Gedanke, den wir sofort unterschreiben.
Also nehmen wir ein Kartenspiel zur Hand. Die Regeln? Keine Ahnung. Also erfinden wir unsere eigenen. Und es macht unglaublich Spaß, mitten in dieser bunten Ranch zu sitzen, zu lachen, Karten zu legen und für einen Moment alles andere zu vergessen.
Und als ob das nicht schon skurril genug wäre, steht mitten auf dem Gelände ein bunt bemalter Helikopter – ein Anblick, der überhaupt nicht in die Landschaft passt und doch perfekt zu unserem Roadtrip. Es fühlt sich an wie eine Szene aus einem amerikanischen Film, wenn man irgendwo mitten im Nirgendwo in einem Diner landet. Und offenbar dachten viele so, denn Salty’s war gut besucht.
Dunnottar Castle – Geschichte auf den Klippen
Weiter geht die Fahrt. Ein Name springt uns immer wieder ins Auge: Stonehaven. Seit wir Edinburgh verlassen haben, taucht er auf den Schildern auf, immer wieder, fast wie ein Ruf. Irgendetwas sagt mir: Diese Stadt solltest du dir merken.
Wir fahren zunächst daran vorbei. Doch die Neugier lässt mich nachsehen – und ich entdecke: Dort liegt eine der eindrucksvollsten Burgen Schottlands, hoch oben auf einem Felsen über dem Meer: Dunnottar Castle.
Also drehen wir um. Der geplante Steinkreis muss warten – aber was uns nun erwartet, fühlt sich an wie eine Fügung.
Die Burg thront dramatisch auf einer Klippe, umgeben von der tosenden Nordsee. Schon am Tag zuvor im Edinburgh Castle hatten wir die Kronjuwelen gesehen – und nun begegnen sie uns hier noch einmal in der Geschichte. Denn genau in Dunnottar wurden die schottischen Kronjuwelen einst während der Invasion Cromwells versteckt, gerettet vor dem Zugriff der Engländer. Ein Kreis schließt sich, wie ein roter Faden durch unsere Reise.
Und wie durch ein Wunder strahlt die Sonne in diesem Moment in goldenem Licht. Die gesamte Burg ist getaucht in Glanz, fast so, als wolle sie selbst ihre Geschichte erzählen.
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Dunnottar Castle – Ein Blick in die Geschichte
um 500 n. Chr. – erste christliche Missionare errichten hier vermutlich eine kleine Kirche.
900 n. Chr. – König Donald II. von Schottland wird hier getötet; Dunnottar gilt fortan als königlicher Ort.
14. Jahrhundert – Robert the Bruce nutzt die Burg als Stützpunkt im Freiheitskrieg gegen England.
17. Jahrhundert – die schottischen Kronjuwelen werden während der Invasion Cromwells hier versteckt und gerettet.
1685 – 122 Covenanters (Presbyterianer) werden in einem Kerker eingesperrt – ein dunkles Kapitel der Burg.
Heute liegen die Ruinen als stille Zeugen über den Klippen – voller Geschichte, Tragik und Stärke.
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Leider war das Tor bereits geschlossen – wir sind nach 17 Uhr angekommen. Doch der Weg dorthin ist schon ein Erlebnis: vorbei an reifen Hagebuttensträuchern und wilden Brombeeren, süß und saftig. Natürlich können wir nicht widerstehen, sie direkt vom Strauch zu probieren.
Ich laufe noch den Hang hinunter bis ans Wasser, entdecke dort eine kleine Höhle mit einem Durchgang. Die Brandung schlägt unermüdlich gegen die Felsen, während über uns die Burg thront – mächtig, zeitlos.
Wir wandern noch eine Weile umher, mit der Sonne im Rücken, die sich langsam zum Untergang neigt. Über uns wieder dieses unvergleichliche Wolkenmeer, das die Küste in immer neue Formen taucht. Alles zusammen – Burg, Meer, Licht und Himmel – wirkt wie ein Schauspiel nur für uns.






Abend an der Küste – St. Olaf Hotel
Von Dunnottar Castle setzen wir unsere Fahrt fort, weiter Richtung Aberdeenshire. Und wie zur Krönung des Tages schenkt uns der Himmel noch einen der schönsten Sonnenuntergänge, die wir je gesehen haben.
Die Wolken färben sich rot, orange und golden. Der Himmel brennt, das Land glüht, und wir fahren mitten hindurch. Es ist einer dieser Augenblicke, die man nicht festhalten kann, weil kein Foto je die ganze Schönheit einfängt – man muss sie erleben.
Am Abend erreichen wir schließlich unser Hotel: das St. Olaf Hotel in Cruden Bay. Ein kleines, familiengeführtes Haus direkt an der Küste – gemütlich, freundlich, fast wie ein Geheimtipp. Wir werden herzlich begrüßt, und im Zimmer erwartet uns eine kleine Überraschung: überall Kleinigkeiten zum Naschen. Ein Apfel hier, ein Minzplätzchen dort, ein Stück Schokolade auf dem Kissen. Diese Details machen das Ankommen leicht, fast vertraut.
Doch lange genießen wir das Zimmer nicht, denn die Reise ruft schon weiter. Noch am Abend buchen wir unser nächstes Hotel – diesmal am Loch Ness. Mit müden Augen, aber voller Bilder und Eindrücke vom Tag, fallen wir schließlich ins Bett. Ein Tag, der so reich war, dass er noch lange nachklingen wird.